Biologische Ursachen der Depression: Veränderungen der Gehirnstruktur
Weitere Depressions-Ursachen: Vererbung, Serotonin & Co., Stress und Traumata
Depressionen gehen immer mit (zum Teil sehr starken) Veränderungen der Gehirnaktivität einher, und durch diese veränderte Aktivität kommt es längerfristig zu Veränderungen der Struktur und Plastizität des Gehirns. Deshalb ist es besonders wichtig, Depressionen gleich zu Anfang wirksam zu behandeln, um keinen "Teufelskreis" in Gang zu setzen, in dem das Hirn immer stressanfälliger wird.
Bei Depressionen kommt es - vereinfacht gesprochen - zu einer Überaktivierung bestimmter Teile des limbischen Systems (also des emotionalen Zentrums) und zu einer Unteraktivierung kortikaler Regionen (d. h. des Frontalhirns, also des "kognitiven Zentrums", das u. a. für rationales Denken und Emotionskontrolle zuständig ist).
"Die für schwere depressive Episoden typischen Stimmungsveränderungen scheinen durch Störungen der Reizleitung zwischen fronto-limbischen und subkortikalen Regionen hervorgerufen zu werden - Arealen, die an der Verarbeitung emotionaler Informationen maßgeblich beteiligt sind." Q
Grundsätzlich kann gesagt werden, dass das Gehirn auf negative Impulse zu stark "anspringt", auf positive dagegen zu wenig. Dadurch entsteht ein sogenannter "negative bias", also eine "negative Tendenz des Denkens". Das heißt mit anderen Worten: Negativen Dingen wird zu viel Gewicht beigemessen. Sie werden bevorzugt als Erinnerungen gespeichert, und Negativem wird (auf emotionaler Ebene) viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als Positivem. Die Welt wird also nicht durch die rosarote, sondern durch die dunkelgraue Brille gesehen.
Einige Gehirnregionen, deren Aktivität (und z. T. auch Struktur) bei Depressionen verändert ist, haben wir für Sie im Anschluss aufgeführt.
Veränderungen des Cortex (der GroSShirnrinde)
Im Orbitofrontalen Cortex (OFC), der (grob gesagt) für die Emotionskontrolle, Impulskontrolle und (soziale) Anpassung "zuständig" ist, kommt es bei Depressionen laut Studien zu einer Hyperaktivierung (also einer zu starken Aktivierung) bei der Betrachtung negativer Bilder Q und (wie auch im Dorsolateralen Präfrontalen Cortex DLPFC) zu einer Hypoaktivierung bei der Betrachtung von Darstellungen trauriger Gesichter. Q Das heißt mit anderen Worten, dass die Verarbeitung negativer Impulse im "Kontrollzentrum" des Gehirns gegenüber nicht depressiven Phasen Veränderungen unterzogen ist.
Darüber hinaus ist auch in den Regionen des Ventromedialen Präfrontalen Cortex (VMPFC), die für eine erfolgreiche Modulation (Veränderung) und Inhibition (Unterdrückung) von Reaktionen der Amygdala auf negative Stimuli notwendig sind, in depressiven Phasen eine zu geringe Aktivierung zu beobachten. Q
Das bedeutet, dass negative Impulse bzw. Affekte nicht in ausreichendem Maße ans "rationale" Frontalhirn weitergeleitet und dort verarbeitet werden. Negatives wird also nicht rationalisiert (und damit "entschärft"), sondern "dümpelt" in seiner ganzen Brisanz im emotionalen Zentrum herum. Das wäre in etwa so, als würde man alles genauso heiß essen, wie es gekocht wird, ohne es vorher durch "Ratio" abkühlen zu lassen.
Auch in der Inselrinde bzw. dem Inselcortex kommt es bei depressiven Menschen zu einer veränderten Aktivierung bei der Betrachtung negativ und positiv konnotierter Bilder. Q
Im Temporallappen, der unter anderem bei der Verarbeitung visueller Informationen und im Bezug auf Gedächtnisleistungen und Lernen eine wichtige Rolle spielt, sind ebenfalls Veränderungen der Aktivität zu beobachten. Q
Das Anteriore Cingulum, kurz ACC, ist ein tieferliegender Teil des Cortex, der unter anderem für die Vorhersage von Fehlern und Risiken Q und für das Konfliktmanagement "zuständig" ist. Q Das ACC spielt deshalb eine große Rolle für das Vermeidungslernen, für die Emotionsregulierung und für die Unterdrückung von Reaktionen, die negative Konsequenzen haben könnten. Q, Q
Bei der Betrachtung positiv konnotierter Bilder reagiert das rechte ACC bei depressiven Menschen weniger stark als bei Menschen ohne Depressionen Q. Mit anderen Worten: Positives wird zu wenig verarbeitet und in den Lernprozess integriert. Veränderungen in diesem Bereich sprechen ebenfalls dafür, dass die Signalleitung vom "emotionalen Zentrum" zum "kognitiven Zentrum" bei Depressionen zu schwach ist.
Veränderungen in subkortikalen Regionen
Wie neuere Studien belegen, kann es bei länger andauernden oder häufiger auftretenden unbehandelten Depressionen zu einer Schrumpfung des Hippocampus kommen. Der Hippocampus ist eine seepferdchenförmige Struktur im limbischen System, die für Gedächtnis, Lernen, Wiedererkennen, aber auch für die Verhaltensregulierung und Affektunterdrückung von entscheidender Bedeutung ist. Auch hier, in diesem wichtigen Kontroll- und Lernzentrum, kommt es zu einer Unteraktivierung bei der Betrachtung negativ konnotierter Bilder. Q, Q
Man könnte also sagen, im rationalen Lernzentrum ist, wenn es um Negatives geht, wenn es also "brenzlig" wird, zu wenig los - und deshalb bleibt Negatives emotional dominiert.
Im Fachjargon heißt das: Die Hemmung der Neurogenese im Gyrus dentatus (einem Teil des Hippocampus) durch Stress (über die Ausschüttung von Glukokortikoiden und die Aktivierung des sympathischen, exzitatorischen Nervensystems) kann dazu führen, dass depressive und stressbezogene Reaktionen nicht mehr ausreichend reguliert werden können Q, Q, Q. Wie gesagt: Die "Chefetage" ist unterbesetzt, und die Mitarbeiter machen, was sie wollen.
Die Amygdala, unser "emotionales Zentrum", ist bei depressiven Menschen häufig hyperaktiv, vor allem dann, wenn es um negative Erfahrungen und Gedanken geht. Q Deshalb wird Negatives schnell überbewertet.
Striatum, Nucleus Caudatus, Globus Pallidus und Nucleus Accumbens sind Teile der Basalganglien, die unter anderem für die Unterdrückung (Inhibition) unerwünschter oder unangemessener Bewegungen und für die Koordinierung beabsichtigter Bewegungen "zuständig" sind Q, aber auch für die Aufmerksamkeit (via Dopamin) Q und die Verarbeitung der verschiedensten emotionalen und kognitiven Impulse. Sie sind ein wichtiger Teil des Belohnungssystems und spielen eine Rolle bei Suchtprozessen und der Ausprägung von Gewohnheiten. In allen Regionen kommt es bei Depressionen zu Veränderungen. Q, Q, Q, Q
Studien haben gezeigt, dass es bei Depressionen zu einem striatalen (Lern-)Defizit kommen kann. Q Dysfunktionale Verbindungen der Basalganglien mit dem limbischen System (Amygdala, Hippocampus...) könnten zu Depressionen beitragen. Q
Andere Studien belegen, dass sich Dysfunktionen des Nucleus Accumbens negativ auf die Funktionalität des Belohnungssystems auswirken und damit zu Depressionen beitragen könnten. Die Autoren einer Studie gehen deshalb davon aus, dass Patienten mit refraktorischen (wiederkehrenden) Depressionen von einer Tiefen Hirnstimulation des Nucleus Accumbens profitieren könnten. Q
Bei depressiven Menschen sind in der Regel auch die Stressreaktionen verändert. AVP (Arginin–Vasopressin) und Oxytocin aus dem hypothalamisch-neurohypophysären System (HNS) könnten sich direkt auf die Aktivität der HPA-Achse auswirken und somit zu Stress und Depressionen beitragen. Q, Q Eine erhöhte Aktivität von CRH-Neuronen im Hypothalamus mit darauffolgender ACTH-Ausschüttung des Hypophysenvorderlappens führt zur Freisetzung des "Stresshormons" Cortisol durch die Nebennierenrinde und damit zu weiterem Stress. Q
Fazit
Depressionen führen zu Veränderungen der Hirnaktivität und langfristig auch zu Veränderungen der Hirnstruktur. Beide Veränderungen begünstigen Depressionen.
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen oder gar nicht erst entstehen zu lassen, ist es besonders wichtig, Depressionen rechtzeitig und langfristig zu behandeln - mit einer gesunden, möglichst stressfreien Lebensführung, Psychotherapie, Medikamenten oder eventuell auch Hirnstimulationen.
© Depression-behandeln.de. Alle Rechte vorbehalten.