Traumata und ihre Rolle bei der Entstehung von Depressionen

Weitere Depressions-Ursachen: Vererbung, Serotonin & Co., Stress und Veränderungen des Gehirns

Welche Ereignisse sind traumatisierend?

Wie wir auf der Seite "Ursachen" schon erwähnt haben, entstehen depressive Erkrankungen in der Regel als Folge MEHRERER Faktoren. Ob und inwieweit belastende Ereignisse (wie etwa Trennungen, Erkrankungen, Jobverlust usw.) jedoch wirklich zu einer Depression führen, hängt von der Verfassung des Einzelnen, von seinen Genen, seiner Erziehung und den Erlebnissen ab, die er im Vorfeld gemacht hat. Deshalb kann es sein, dass der eine die Trennung des Partners oder der Partnerin relativ schnell und gut verkraftet, während ein anderer fast daran zerbricht.

Was uns anfällig für Depressionen macht, sind Ereignisse, mit denen wir nicht gut umgehen können - Ereignisse, die wir nicht 'verkraften'. Diese Ereignisse hinterlassen, weil sie traumatisch sind, bleibende Spuren in unserem Gehirn.

Gute Idee Traumata sind nicht nur einmalige schwerwiegende Erlebnisse.

In diesem Abschnitt möchten wir dazu anregen, den Begriff "Trauma" einmal weiter zu fassen, als es sonst üblich ist. Meistens denkt man dabei ja an Kriegserlebnisse, sexuellen Missbrauch und tödliche Bedrohung. Was für unser Hirn aber traumatisch ist, hängt gar nicht unbedingt von der objektiven Schwere des Ereignisses zusammen, sondern eben damit, inwieweit wir mit diesem Ereignis umgehen können.

Studien haben erwiesen, dass zum Beispiel jahrelange psychische Vernachlässigung im Kindesalter ebenso einschneidende (wenn auch eventuell andere) Veränderungen des Gehirns bewirken kann wie beispielsweise sexueller Missbrauch. Kinder können sogar schon im Mutterleib schwer traumatisiert werden, wenn die Mutter eine sehr negative Einstellung zu ihnen hat, oder wenn sie dauerhaft gestress ist und deshalb einen Überschuss an 'Stresshormonen' hat. (Q; Dowling et al., 2000)

So konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass große Mengen an CRH (Corticotropin-releasing hormons) während der Schwangerschaft die fötale Hirnentwicklung negativ beeinflussen können (Q, Glynn, Wadhwa & Sandman 2000). Diese Hirnveränderung führt später im Jugendlichen- und Erwachsenenalter zu einer Beeinträchtigung des Stressmanagements und damit längerfristig zu einer stark erhöhten Depressionsgefahr (Williams, Hennessey & Davis 1995). Die Entwicklung der HPA-Achse, also unserer "Stressachse" zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse und der Nebennierenrinde, die für unseren Umgang mit Stressoren von entscheidender Bedeutung ist, wird nachhaltig gestört (Sandman et al., 1994; Glover, 1997; Weinstock, 1997). Und das hat dann langfristige Konsequenzen, denn wir erinnern uns: Wer ein suboptimales Stressmanagement hat, kann mit Stressoren wie etwa Trennungen und Verlusten weniger gut umgehen als andere und ist eher gefährdet, depressiv zu werden.

Das heißt also: Ist die Mutter schon während der Schwangerschaft gestresst, ist auch ihr Kind als Erwachsener meist stressanfälliger als andere Menschen.

Um das Thema Stress, Gehirn und Depressionen besser verstehen zu können, werden wir Ihnen im Anschluss einen kurzen Überblick darüber geben, wie sich unser Gehirn allgemein und unter Stress entwickelt.

Fragezeichen Wie entwickelt sich das kindliche Gehirn?

Die Hirnentwicklung schreitet in der Kindheit schrittweise und hierarchisch voran, also von unten (vom Stammhirn) nach oben (über das limbische System zum Kortex).

Stammhirn -> Amygdala -> anteriores Cingulum -> orbitofrontaler Kortex

Das Stammhirn ist für unsere wichtigsten Lebensfunktionen verantwortlich. Es steuert alles, was wir zum reinen Überleben brauchen, also zum Beispiel die Atmung, die Herztätigkeit und die Ausscheidungsfunktionen.

Das limbische System ist für die Verarbeitung von Emotionen und für die Stressregulierung 'zuständig'. Es entwickelt sich schrittweise von der Amygdala (emotionales Zentrum) über das Cingulum hin zum orbitofrontalen Kortex (kognitive, d. h. willentliche Kontrolle von Impulsen).

Das limbische System sowie die subkortikalen und kortikalen Regionen übernehmen mit zunehmender Reifung die Modulation und Kontrolle der 'primitiveren' unteren Hirnregionen. Dadurch können Emotionen mit zunehmendem Alter immer besser abgefedert werden; die Handlungen des Kindes werden reifer und überlegter. All diese Hirnregionen entwickeln sich in unterschiedlichen Phasen der Kindheit. Der Kortex, der für das abstrakte Denken und die Affektregulation zuständig ist, entwickelt sich später und über einen längeren Zeitraum und ist erst Jahre später voll funktional.

Das Hirnvolumen von Säuglingen vergrößert sich während der ersten zwei Lebensjahre sehr schnell. Im Alter von bis zu zwei Jahren ist das Volumen der rechten Hemisphäre größer als das der linken. Die rechte Hirnhälfte ist vor allem für die Affektregulation, die Frustrationstoleranz und die Anpassungsfähigkeit verantwortlich - und damit für Eigenschaften, die für unser späteres soziales Leben von entscheidender Bedeutung sind. Wer keine gute Frustrationstoleranz hat oder sich schlecht anpassen kann, wird später häufig 'anecken'.

Die Entwicklung des Gehirns (und vor allem der rechten Gehirnhälfte) wird in dieser frühen Zeit sehr stark durch die Bindungserfahrungen bestimmt, also durch die Erfahrungen, die der Säugling mit den Eltern und anderen nahestehenden Menschen macht.

Fragezeichen Was passiert nun, wenn das kindliche Gehirn "ungesunden" Erfahrungen ausgesetzt ist?

Wie viele Studien bewiesen haben, verursacht anhaltende Angst bei Kindern ungesunde Veränderungen des Hirns und führt langfristig zu sozialen, emotionalen und kognitiven Einschränkungen (Yeo et al. 1997). Anhaltende Angst kann aber beispielsweise nicht nur dadurch entstehen, dass das Kind geschlagen oder missbraucht wird, sondern auch dadurch, dass es häufig oder für einen längeren Zeitraum alleingelassen oder von der nächsten Bezugsperson emotional abgelehnt wird (wenn die Mutter beispielsweise depressiv ist und kein anderer liebevoller Mensch die Pflege übernimmt).

Diese ungesunden Veränderungen erklären sich durch folgende Funktionsprinzipien des Hirns:

Gute Idee Das Hirn verändert sich nutzungsabhängig - als Reaktion auf Erfahrungen (indem es synaptische Verschaltungen neu bildet oder abbaut). Dabei werden oft genutzte und stimulierte Verbindungen gestärkt, während selten genutzte Verbindungen verkümmern. Redet die Mutter beispielsweise nicht oft mit ihrem Kleinkind, wird die normale Sprachentwicklung beeinträchtigt, und das große Potential des Sprachzentrums wird nicht ausgenutzt. Dadurch kommt es auch zu Beeinträchtigungen der kognitiven Entwicklung. Deshalb ist "Sprachlosigkeit" in der Familie traumatisch für das Gehirn des Kindes.

Gute Idee Neue Interaktionen zwischen Hirnteilen (also Neuronenverbindungen und synaptische Verschaltungen) können nur auf Grundlage alter, bereits etablierter Interaktionsmuster gebildet und stabilisiert werden. Dabei müssen sie den "Pfaden" folgen, die zur Interaktion zwischen den einzelnen Regionen bereits angelegt sind. Das heißt mit anderen Worten: Neues entsteht nur auf der Grundlage des Alten und nach den Spielregeln des Alten. Ist das Alte beeinträchtigt, wird sich das Neue nicht optimal entwickeln können. Ist das Hirn einmal vorgeschädigt, gibt es einen Schneeballeffekt.

Wer als Säugling einmal gelernt hat, dass Mutti erst kommt, wenn er lange schreit, wird die Zuneigung nahestehender Menschen vielleicht später nicht als selbstverständlich erwarten, sondern sich übermäßig darum bemühen, gehört zu werden. Aber gerade durch diese intensiven Bemühungen werden seine Beziehungen belastet werden, weil der Interaktion die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit fehlt. Viele Eltern sind sich gar nicht dessen bewusst, dass ihr Verhältnis zu ihrem Kind seine Bindungsfähigkeit für immer bestimmen wird - und einen Einfluss darauf hat, welche Partner es sich später sucht, wie es mit ihnen umgeht, ob es Trennungen verkraften kann usw.

Gute Idee Veränderung geschieht nur durch neue Impulse: Wie alle lebenden Systeme entwickelt sich auch das Gehirn nur dann weiter, wenn neuartige Bedingungen auftreten, die die Stabilität der bereits etablierten Interaktionen in Frage stellen (diese Bedingungen werden beispielsweise im Spiel geschaffen). Also: Wird nicht gespielt, entwickelt sich kaum etwas. Keine Impulse = keine Entwicklung. Wird das Kind vernachlässigt, entwickelt sich das Gehirn nicht altersgemäß.

Gute Idee Konstanz ist sehr wichtig für eine Stabilisierung des Gelernten. Die Stabilität der existierenden Verschaltungen hängt in zunehmendem Maße von sensorischen Impulsen aus der Außenwelt ab. Dabei sind "die Außenwelt" natürlich anfangs die Eltern und andere nahestehende Bezugspersonen. Was die Mutter wiederholt tut, wird als Verhaltensmuster beim Kind dauerhaft angelegt, denn das Kind lernt durch "Spiegelung" der Außenwelt, ohne sich zunächst abgrenzen zu können (da der Kortex bzw. das "Ich" noch nicht gut entwickelt sind).

In der Kindheit entwickelt sich das Hirn (v.a. die rechte Hirnhälfte) also in starker Abhängigkeit von den Beziehungserfahrungen. Alle grundlegenden Beziehungsmuster werden in dieser Zeit angelegt. Alle Fehler, die von Nahestehenden in den ersten Jahren eines Kindes gemacht werden (in Form von Streitereien, Vernachlässigung, Misshandlung, zu wenig Nähe, aber auch zu viel Nähe durch "Anklammern"), müssen oft Jahrzehnte später "auf der Couch" vom Psychoanalytiker über Jahre hinweg mühsam korrigiert werden. Eigentlich frustrierend, denn das Kleinkind konnte ja nichts dafür und nichts dagegen tun; es büßt also sein ganzes Leben lang die Sünden der "Vorväter".

Wenn sich die Mutter nicht konsequent, sondern launisch und unberechenbar verhält, führt das zu einer grundlegenden Verunsicherung des Kindes, das ja zum Lernen auf Konstanz/ Konsistenz angewiesen ist.

Häufig kann dann kein stabiles, sicheres Selbstbild entstehen. So ist zum Beispiel die Entwicklung von Borderline-Persönlichkeitsstrukturen unter anderem auf ein solches widersprüchliches Verhalten der wichtigsten Bezugsperson zurückzuführen (Ablehnung im Wechsel mit übertriebener Fürsorge oder Anklammern). Das Kind hat keine Chance, zu einem stabilen, tragfähigen und verlässlichen Weltbild zu gelangen; die Welt erscheint ihm später oft chaotisch und furchteinflößend.

Gute Idee Die Integration, die Speicherung und der Abruf von Informationen, die durch Erfahrung gewonnen werden, erfolgt zustandsabhängig. Das heißt mit anderen Worten: Erfahrungen, die das Kind macht, während es traurig oder wütend ist, werden später bei ihrem erneuten Abruf mit Trauer oder Wut verbunden sein. Das ist den meisten Menschen aber später gar nicht bewusst, weil sie sich ja nicht daran erinnern können, wie sie sich gefühlt haben, als sie die Erfahrung im Alter von einem oder zwei Jahren zum ersten Mal gemacht haben.

Wichtig Lernen durch Wiederholung: Der Schneeballeffekt früher Hirnschädigungen

Wie wir bereits erwähnt haben, werden synaptische Verschaltungen nur durch Wiederholung stabilisiert. Das heißt: Nur wenn man mit einem Kleinkind spricht, wird sein Sprachzentrum aktiviert, und nur die Wiederholung der Worte schafft und stabilisiert synaptische Verknüpfungen. Lernen basiert also auf Wiederholung, wie jeder wissen wird, der schon einmal richtig 'gepaukt' hat.

Fortgesetzte Aggressionen der engsten Bezugspersonen werden den Bindungsstil und das Selbstbild des Kindes nachhaltig (und oft lebenslang) beeinflussen. Doch nicht nur Überstimulation, sondern auch Vernachlässigung führt zu Hirnschäden: Fortgesetztes Schweigen verzögert die Sprachentwicklung und führt zu intellektuellen Beeinträchtigungen, und Bewegungsmangel bremst die motorische Entwicklung (Laufen, Koordination...)

"Wird der sukzessive Ablauf dieser Reifungsprozesse an irgendeiner Stelle gestört, wirkt sich diese Störung auch auf alle nachfolgenden Reifungsschritte in all jenen Regionen aus, die funktionell von dieser Störung affiziert sind." Q

Der Prozess der präfrontal-subkortikalen Parzellierung setzt sich über die Jahre fort und kann ein bereits beeinträchtigtes kortiko-subkortikales System weiter schädigen (Keshavan, Anderson, & Pettegrew, 1994). Daher treten die Symptome bestimmter Psychopathologien oft erst in der Pubertät oder später auf. Die späteren Erkrankungen kündigen sich jedoch bereits in der Kindheit durch erkennbare Bindungsstörungen (zwischen Mutter und Kind) und daraus resultierende Defizite in der Affektregulierung an. Das heißt, das Kind hat bereits früh Schwierigkeiten, seinen Emotionen angemessenen Ausdruck zu verleihen oder sie gegebenenfalls zu zügeln.

Fragezeichen Was passiert bei Stress? Inwieweit verändert Stress dauerhaft das Gehirn?

Die Aktivierung limbischer Hirnregionen durch Neues und Unerwartetes - das entweder als Bedrohung (Angst) oder als Belohnung (Freude) empfunden wird - "führt zu einer vermehrten Ausschüttung einer ganzen Reihe von Signalstoffen (Transmitter, Mediatoren, Hormone) in den höheren kortikalen Regionen. Unter dem Einfluß dieser Signalstoffe, die die Bildung und Bahnung synaptischer Verschaltungen stimulieren (z. B. Catecholamine und Neuropeptide), kommt es zur Festigung und Stabilisierung insbesondere all jener Nervenzellverschaltungen, die im Verlauf der emotionalen Aktivierung besonders intensiv genutzt werden (strukturelle Verankerung positiver/negativer Erfahrungen, "emotionales Gedächtnis" für erfolgreiche/erfolglose Bewältigungsstrategien, vgl. Hüther 1996)." Q

Hier ein Szenario für die Verankerung von Bewältigungsstrategien, die zwar für den Säugling die einzige Option sind, sich aber im Erwachsenenalter als wenig erfolgreich herausstellen:

Die Mutter ist mit ihrer neuen Aufgabe häufig überfordert und empfindet ihr Kind zeitweilig als Belastung. Deshalb kommt sie manchmal erst, wenn der Säugling sehr lange schreit.

Der Säugling lernt, dass ihm Mutti nur Aufmerksamkeit schenkt, wenn er sehr lange schreit. Liebe und Zuneigung scheinen ihm also daran gekoppelt zu sein, wie sehr er sich 'bemüht' - das heißt, sie werden ihm nicht einfach geschenkt.

Als Erwachsener wird er dann vielleicht versuchen, sich der Zuneigung anderer ständig zu versichern. Er glaubt nicht daran, dass er "einfach so" geliebt wird, und muss die Liebe von anderen ständig bestätigt bekommen, um sicher zu sein, nicht allein gelassen zu werden. Wie der Säugling "schreit" er nach Liebe und Aufmerksamkeit. Ständig möchte er gesagt bekommen, dass man ihn nicht verlassen wird; ständig wird er argwöhnen, dass man schon die Absicht hegt, ihn zu verlassen. Dieses Überengagement fängt an, seine Beziehung zu belasten. Ein kurzzeitiger Rückzug des Partners führt bei ihm zur Panik, ganz verlassen zu werden, und er intensiviert seine Bemühungen. Er provoziert Aussprachen, ruft häufig an und deutet alle Signale als "Ende vom Anfang" - denn er ist es ja gewohnt, verlassen zu werden, und kennt nur die Strategie des Überengagements ("Schreien") zur Abhilfe. Schließlich wird seine Angst zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Der Partner hält das Überengagement, das Misstrauen und das Zuviel an Nähe nicht mehr aus und verlässt ihn. Seine in frühester Kindheit angelegten Beziehungs- und Verhaltensmuster erweisen sich im Erwachsenenleben als fatal.

Wenn aber nun die einzige Strategie wiederholt nicht funktioniert, und Alternativen gar nicht bekannt sind, kann das schnell zu Depressionen führen. Das heißt: Der Betroffene bemüht sich und bemüht sich und wird trotzdem immer wieder verlassen. Bei jeder Trennung wird er 'retraumatisiert' und muss die Ablehnung seiner Mutter noch einmal durchleben (ohne sich dessen bewusst zu sein).

Fragezeichen Was passiert im Gehirn bei häufiger Retraumatisierung?

Tierversuche (von Plotsky und Meany in 1993, von Vaid et al. in 1997 sowie Valee et al. in 1997) konnten belegen, dass frühe Erfahrungen mit anhaltendem, moderatem Stress zu erhöhter Belastbarkeit führen können, während unberechenbarer oder chronischer Stress sowohl zu funktionalen Defiziten als auch zu einer erhöhten Verletzbarkeit durch neue Stressoren führt. Die Folgen sind 'Dünnhäutigkeit', eine verminderte Frustrationstoleranz und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der (wiederholten) Re-Traumatisierung durch vergleichsweise geringfügige emotionale Verletzungen.

Sowohl anhaltende als auch (einmalig oder periodisch auftretende) extreme Über- und Unterstimulierung beeinträchtigen die Hirnentwicklung erheblich. Zu hirnschädigenden traumatischen Erfahrungen gehören dabei nicht nur Stress, Gewalt und Missbrauch, sondern auch Vernachlässigung und nicht zu verarbeitende Trennungserlebnisse.

Im Gehirn wird durch Unter- und Überforderung vor allem die Reizleitung vom Stammhirn (Triebe) und vom limbischen System (Emotionen) zum Kortex (intellektuelle Verarbeitung von Impulsen und Emotionskontrolle) dauerhaft gestört. Das bedeutet, dass die Emotionen "unten" bleiben und nicht zur Kontrolle nach oben geschickt werden, um dort in Schach gehalten und sozialisierungs- und gesundheitsfördernd kontrolliert zu werden.

Um im Bild zu bleiben: Wenn im Erwachsenenalter eine Trennung von einer wichtigen Bezugsperson stattfindet, werden die Urängste des Säuglings wieder nach oben gespült: Trennung (von der Mutter) = Tod. Diese Ängste treffen auf eine durch Traumatisierungen bereits überaktiv gewordene Amygdala und ein Erinnerungssystem mit einer negativen Tendenz. Wäre dem nicht so, und würden die Urangst-Impulse 'ordnungsgemäß' zum Kortex hochgeleitet, könnte das Frontalhirn sagen: "Also hör mal zu, als Kind warst Du vielleicht vom Tode bedroht, als man Dich verlassen hat, aber jetzt, ich bitte Dich, da stehst Du doch drüber... suchst Dir halt einen anderen... und davon geht die Welt nicht unter."

Stattdessen bleibt der Urangst-Impuls 'unten' und dümpelt im emotionalen Zentrum herum, das zwar auch eine gewisse Kontroll- und Gedächtnisfunktion hat, aber eine, die auf 'emotionalem' Denken und nicht auf 'rationalem' Denken beruht. Da heißt es dann also: "Oh Gott, die letzten Male bist Du verlassen worden, ich erinnere mich genau, wie schrecklich das war, geradezu entsetzlich, das wird Dir wieder passieren, Du musst ganz schnell irgendwas unternehmen, Gott, was für ein Stress." Und dabei bleibt es dann auch. Und das führt zu Depressionen.

Der Kortex kann also bei emotionalem Aufruhr aus dem Stammhirn und aus subkortikalen Regionen nicht rettend eingreifen, und daher wird das Leben zum Drama.

Die soeben beschriebenen kontraproduktiven Bewältigungsmuster müssen durchbrochen werden. Das geschieht zum Beispiel durch 'Verbalisierung' der vorbewussten Ängste im Rahmen einer Psychotherapie. Medikamente können helfen, die Überaktivität in bestimmten (vorwiegend 'emotionalen' Aufgaben nachgehenden) Hirnregionen zu beseitigen und die negative Tendenz der Gedächtniskonsolidierung abzubauen, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Mehr dazu erfahren Sie im Kapitel "Behandlung".



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